Wenn Verstöße gegen Zucht und Ordnung humorvoll geahndet werden
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26.6.2020 Schermbeck. Schon Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts würzten Vorstand und Offiziere den traditionellen Umtrunk nach dem dienstäglichen Festzug mit Reden und humorigen Vorträgen.
Das ist im Protokollbuch der Schützen nachzulesen. Das „rösige“ Schützenvolk brauchte angesichts des nahenden Festendes wohl noch einmal einen Höhepunkt, der sich in den weiteren Jahren steigerte. So verfiel man im Jahr 1954 darauf Verstöße gegen Zucht und Ordnung humorvoll zu ahnden. Dieses Ritual wurde bis heute beibehalten und als Batallionsnachmittag als letzten Höhepunkt des Traditionsfestes gefeiert.
Einer derenigen die die Strafen festlegen ist Christian Hötting der nachfolgend berichtet, was da an diesem Tag eigentlich hinter den Kulissen geschieht
Grundlegend und aus den Tiefen seines Herzens ist jeder Schütze darum bemüht, dass Schützenfest mit Disziplin, Ausdauer und Ordnungssinn gut zu meistern. Aber irgendwann strauchelt im Verlauf des beliebten Schermbecker Volksfestes so mancher über seine guten Vorsätze. Dies ist dann die Zeit der "schwarzen Bücher". In diesen Büchern notieren ausgewählte Offiziere über das Schützenfest die Verfehlungen ihrer Mit-Schützen. Diese können in der Tat so vielfältig sein, wie das Fest selber. Von der unordentlichen Uniform, der vergessenen Schüppe, dem vorlauten Verhalten gegenüber dem Vorstand oder dem ungebührlichem Verhalten beim Zapfenstreich ist alles dabei. Selbstverständlich auch so manches, was der betreffende Offizier selbst für bestrafungswürdig hält.
Der eine oder andere nennt dies böswillig Willkür. Wir nennen das "kreativ-konstruktive Auswahl zweifelhafter Vergehen zur Disziplinierung unbedarfter Schützen". Aber keine Sorgen - wir unterscheiden hier nicht zwischen Jungschütze oder Präsident. Vor der weitestgehend gerechten Ungnade ist niemand geschützt. Diese wunderbare Tradition der Bestrafung wird seit Jahrhunderten bei der Kiliangilde Schermbeck gepflegt. In den letzten Jahrzehnten sorgten - unterstützt von vielen Helfern - vor allem Hans-Werner Winck oder Micki Nissing als amtierender "Spieß" für ausgleichende Gerechtigkeit. Derzeit übernimmt Leutnant Christian Hötting dieses schwere Amt. "Es ist ein schweres und verantwortungsvolles Amt, welches mir weitaus weniger weh tut, als dem Delinquenten." gibt er zu Protokoll.
Nun wäre es aber zu einfach, denjenigen direkt an Ort und Stelle zu bestrafen. Dies hebt man sich für den Kilian-Montag auf. Im Rahmen des alljährlichen Bataillonsnachmittags am Montagnachmittag werden die herausstechendsten und fragwürdigsten Vergehen öffentlich bestraft. Zur Erbauung aber auch zur Abschreckung des Volkes. Gerne trifft es die Jungschützen und die Reitermädels, welche in ihrem jugendlichen Leichtsinn in freier Wildbahn nach Bestrafung schreien oder neue und unerfahrene Offiziere, welche einfach nicht schnell genug weg sind, bevor es sie trifft.
Doch der Reihe nach. Neigt sich das Fest dem Ende entgegen und sind die schwarzen Bücher gut gefüllt, trifft man sich am frühen Morgen des Kilian-Montag bei einem der eingeweihten Offiziere zu Hause und geht die einzelnen Vergehen durch und prüft, welche öffentlich geahndet werden sollten. Da wir unsere Aufgabe sehr ernst nehmen und verantwortungsvoll planen, dauert die Vorbereitung der Bestrafung auch oft mehrere Stunden. Wenn wir noch könnten auch Tage. Lediglich unterbrochen durch komplettes Abschweifen zu anderen Themen und der Aufnahme von stärkenden Getränken und Speisen, welche nach einem harten Sonntag zunächst zögerlich, dann aber dankbar zu sich genommen werden. Zu jedem Vergehen versuchen wir stets eine passende Bestrafung zu finden.
Hatte ein Offizier die falschen Socken an (weiße statt schwarze), dann kann es passieren, dass er die Füße mit Schuh-Creme schwarz angemalt bekommt. Worauf wir aber den allergrößten Wert legen ist die Tatsache, dass wirklich jede der vorgesehenen Bestrafungen im Selbstversuch an uns selber getestet wird. Als zertifizierter Bestrafungs-Betrieb mit Tradition eine Ehrensache! Steht der Plan, dann schwärmen die noch fahrtüchtigen Helferinnen und Helfer aus und besorgen die Materialien, welche nicht in Garagen, Kellern, Wohnungen oder Gärten selber vorhanden sind. Schon öfter verkünstelte man sich in der Erstellung von selbst gebauten Schandkragen, Holzpferden und anderen Apparaturen. Aber: Es soll den Leuten ja auch Spaß machen und da ist Liebe zum Detail ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber der Person und dem Vergehen.
Am Bataillonsnachmittag selber kommen die hartgesottensten Zuschauer und Zuschauerinnen von Nah und Fern um dem Schauspiel beizuwohnen. Traditionell mit dabei in der ersten Reihe: Das amtierende Königspaar und das alte Königspaar samt Hofstaat. Dies sind auch die einzigen Personen, welche explizit nicht bestraft werden. Warum, weiß keiner mehr, es ist aber so. Da sie aber in der ersten Reihe sitzen, bekomme sie oft selber genug ab. An warmen Sommertagen sind Wasserspiele Pflicht und diese enden nicht selten in einer wahren Wasserschlacht. Manche sagen auch in einem feuchten Desaster. Man merkt halt recht rasch, dass trotz sorgfältiger Vorbereitung kein Plan den ersten Schützenkontakt überlebt.
Die Bestrafung wird darüber hinaus maximal professionell moderiert, damit niemand was verpasst. Meistens versteht man auch die Hälfte. Es würde an dieser Stelle sicher den Rahmen zu sprengen, alle Bestrafungen der letzten Jahre Revue passieren zu lassen. Vielleicht wäre dies eine Idee für ein neues Kilian-Buch. Aber es waren viele lustige und spektakuläre Aktionen dabei und auch der wohltätige Zweck kam nie zu kurz, wenn Gegenstände wie z.B. die erste Wurf-Schüppe der Schüppen-Schützen zugunsten der Kinderbelustigung versteigert wurden. Darum gebührt auch allen Verurteilten ebenso ein dickes Dankeschön, dass sie ihre Bestrafung mit Humor annehmen und über sich ergehen lassen, wie den unzähligen Helferinnen und Helfern, welche dazu beitragen, dass die Bestrafung überhaupt durchgeführt werden kann.
Damit auch eine gewisse Melancholie nicht zu kurz kommt, ist es Aufgabe des jeweiligen Präsidenten die berühmten "letzten Worte" zu sprechen, das Fest Revue passieren zu lassen, sich bei den vielen Beteiligten zu bedanken und ein letztes Mal das Königspaar hochleben zu lassen, bevor das Fest offiziell beendet wird. Dann zerstreut sich die Menge um die letzten bei der Bestrafung verteilten Freibiermarken ihrem gerechten Schicksal zuzuführen. Aber nicht, ohne den bestraften Schützen doch noch ein wenig aufmunternd den geplagten Rücken zu tätscheln und froh zu sein, selbst noch einmal davon gekommen zu sein.